Der Knopf am Handgelenk ist Gold wert

Rotkreuz-Notruf

Bewährungsprobe bestanden: Mitten in der Nacht fährt die Ambulanz Ursula Ackle aus Winznau bei Olten ins Spital – weil sie sich mit dem Notruf-Knopf des Roten Kreuzes Hilfe geholt hat. Rund 550 Personen und mit ihnen ihre Angehörigen vertrauen im Kanton Solothurn auf diese Hilfe des Roten Kreuzes.

Es ist ein Uhr morgens. Ursula Ackle erwacht, weil sie ins Bad muss. Auf ihrem Weg zurück ins Schlafzimmer stolpert die 83-Jährige über einen Teppichrand – und prallt mit ihrem Kopf an den Rand der Balkontüre. «Ich merkte, dass ich blutete», erzählt sie, «ich habe gleich geschaltet – und auf den Notruf-Knopf des Roten Kreuzes an meinem Handgelenk gedrückt.» Die Stimme aus der Notrufzentrale habe sie nicht gehört. «So laut ich konnte, rief ich: Ich kann nicht aufstehen!» Die Nachbarin wird alarmiert, welche die Ambulanz ruft.

Notruf-Uhr immer dabei
Im Spital kümmert man sich um Ursula Ackle. Sie hat eine Wunde an Kopf und Arm sowie eine leichte Gehirnerschütterung. Sie wird verarztet und bleibt für weitere Untersuchungen eine Woche im Spital. Bleibende Schäden hat sie keine. «Es geht mir wieder gut.» Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal so froh über den Notruf wäre. «Was ohne ihn passiert wäre, male ich mir lieber nicht aus. Jedenfalls trage ich die Notruf-Uhr des Roten Kreuzes immer, jetzt erst recht. Dieser Knopf ist Gold wert.» Seit einiger Zeit lebt Ursula Ackle nun wieder in ihrer Wohnung. Einmal pro Woche schaut die Spitex nach ihr und eine Putzfee unterstützt sie im Haushalt. «Eine Umstellung. Aber ich bin froh, dass ich weiter in meinem Daheim bleiben kann – auch dank dem Notruf des Roten Kreuzes.» Der Notruf macht auch Angehörige ruhiger. «Dass meine Mutter den Notruf-Knopf des Roten Kreuzes im entscheidenden Moment gedrückt hat», sagt Dorothe Ott, Tochter von Ursula Ackle, «beruhigt mich. So weiss ich, dass sie sich Hilfe holen kann, wenn es darauf ankommt.»

Zu Hause oder unterwegs
Rund 550 Personen vertrauen im Kanton Solothurn dem Rotkreuz-Notruf: ältere und kranke Personen sowie Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist. Verschiedene Angebote stehen zur Verfügung: ein Modell für zu Hause und mobile Varianten via Handy. 6 Betreuende beraten, installieren und warten die Notruf-Geräte im Kanton Solothurn. Diese Dienstleistung zeichnet sich dadurch aus, dass die Notrufzentrale des Roten Kreuzes rund um die Uhr besetzt ist und jedem Anruf auf den Grund geht: Mindestens drei Kontaktpersonen, die einen Schlüssel zur Wohnung haben, werden kontaktiert – im äussersten Fall die Nummer 144.

Sinnvolles tun
Beim inzwischen verstorbenen Mann von Ursula Ackle kam es nie so weit. Er war ebenso Abonnent des Rotkreuz-Notrufes. Es ist vor gut fünf Jahren installiert worden. An einem Dienstagmorgen war das, kurz nach zehn Uhr: Hans Kunz parkiert sein Auto vor dem Mehrfamilienhaus in Winznau bei Olten. Er installiert und wartet Notruf-Geräte des Roten Kreuzes. «Da es mir gesundheitlich gut geht, will ich etwas Sinnvolles tun. So kann ich meine Freude an der Technik mit sozialem Engagement verbinden und habe doch noch genug freie Zeit.» Der Pensionär hat ein umfangreiches technisches Know-how: Vierzig Jahre lang hat er bei der Swisscom gearbeitet. Dem Zufall überlässt er nichts. Das Notruf-Gerät hat er bereits zu Hause überprüft. Johann Ackle hatte eine leichte Demenz und konnte dank der Unterstützung seiner Frau Ursula, mit der er gut fünfzig Jahren verheiratet war, zu Hause wohnen. Für sie eine grosse Verantwortung; Rückendeckung gibt ihr das Rote Kreuz mit dem Notruf: «So konnte ich zum Beispiel einkaufen gehen und darauf zählen, dass sich mein Mann zu Hause im Notfall per Knopfdruck Hilfe organisieren kann.»

Für Stromausfall gewappnet
Am Tisch sitz an diesem Morgen neben Johann Ackle, Tochter Dorothe Ott, einer Nachbarin und einem Freund der Familie auch Ursula Ackle. Falls ihr Mann nach einem Knopfdruck weder auf die Stimme aus der Notruf-Zentrale noch auf deren Anruf aufs Festnetz reagiert, wird gemäss Priorität eine Person nach der anderen alarmiert, damit sie nach dem Rechten schaut. Reissen alle Stricke, kontaktiert die Notruf-Zentrale die Sanität oder die Polizei. Die Anwesenden schauen zu, wie Hans Kunz das Gerät aus dem Karton nimmt. Im Korridor gibt es keine Steckdose, also wird das Büchergestell in der Stube zum Standort auserkoren. Hans Kunz befestigt die Antenne mit einem Kleber. Nun konfiguriert er das Gerät. «Es funktioniert auch bei Stromausfall», versichert er, «denn es hat einen Notakku.» Dann testet Hans Kunz die Reichweite: Bis wohin kann man gehen – und der Hilferuf würde gehört? Mit dem Knopf in der Hand läuft Hans Kunz in den Keller, er geht zum Briefkasten, hinaus zum Kompost. «Der Knopf leuchtet grün, das bedeutet: auch von hier kann man sich Hilfe holen. Die Reichweite ist je nach Haus unterschiedlich», erklärt der Installateur und grüsst einen Nachbarn, der aus dem Fenster schaut. Er kennt ihn. «Auch er hat den Rotkreuz-Notruf.»

Auf Fehlalarme vorbereitet
Wieder zurück in der Stube, befestigt Hans Kunz die Notruf-Uhr am Handgelenk von Johann Ackle. Er bittet ihn, den Knopf zu drücken. «Guten Tag, hier ist das Rote Kreuz, herzlich willkommen», meldet sich eine  Frauenstimme. «Hören Sie mich?» Der SRK-Mann stellt das Gerät etwas lauter, damit die Stimme der Frau deutlicher wird. «Es kommt immer wieder vor, dass jemand aus Versehen den Kopf drückt», sagt er. «Das kann passieren, das macht nichts.» Fehlalarme seien in der monatlichen Pauschale ebenso inbegriffen wie der monatliche Probealarm sowie regelmässige Wartungen. «So funktioniert das Gerät garantiert. Aber wir hoffen natürlich, dass Sie es nicht benötigen.» Das wünscht sich auch Dorothe Ott, die Tochter von Johann Ackle. «Es beruhigt mich sehr, dass mein Vater nur auf den Knopf zu drücken braucht – und man sich dann um ihn kümmert.»

In der Klemme
Froh über den Notruf des Roten Kreuzes ist auch Alice Gerber*, als sie in der Klemme sitzt – im wahrsten Sinn des Wortes: Sie ist eingeklemmt zwischen Toilette und Badewanne, nachdem sie beim Aufhängen des Duschvorhangs ausgerutscht ist. Mit einem Druck auf die Taste ihrer Uhr löst sie in der SRK-Notrufzentrale einen Alarm aus. Die zuständige Mitarbeiterin, mit der sie via Funk und Gegensprechanlage verbunden ist, erkundigt sich, was los ist. Danach bittet sie eine Nachbarin, nach Alice Gerber* zu schauen; diese sagt ihr, dass die 80-jährige Dame unverletzt ist. Nun alarmiert die Mitarbeiterin der Notrufzentrale Sanitär und Feuerwehr: Die Toilette muss abmontiert werden, damit die etwas mollige Frau aus ihrer misslichen Lage befreit werden kann. Wäre die alleine lebende Alice Gerber* nicht Abonnentin des Notrufsystems, hätte sie womöglich noch stunden- oder tagelang zwischen Toilette und Badewanne ausharren müssen. Die Uhr am Handgelenk vermittelt ihr die Gewissheit, dass sie immer Hilfe holen kann, wenn es brenzlig wird: Die Notruf-Zentrale des Roten Kreuzes bietet zu jeder Zeit eine der drei Personen auf, die einen Schlüssel zur Wohnung von Alice Gerber* haben. Das lässt auch ihre beiden Kinder, die bis zu zwei Autostunden entfernt wohnen, ruhiger schlafen.

* Name geändert

Feinmaschiges Sicherheitsnetz
Etwa bei einem von fünf Anrufen, die bei der SRK-Notrufzentrale eingehen, müssen die Mitarbeiterinnen so entschieden und klar handeln wie eben beschrieben. Meistens ist es nicht so dramatisch. Wie jetzt, an diesem Montagmorgen kurz vor zehn Uhr. Die Mitarbeiterin ruft eine Frau zurück, die versehentlich einen Alarm ausgelöst hat und diesen vertuschen wollte, indem sie die Verbindung wieder getrennt hat. Die Kundin entschuldigt sich kichernd. «Wir gehen jedem Alarm auf den Grund», betont die Mitarbeiterin. Die Abonnentinnen und Abonnenten seien dankbar für das Gefühl der Sicherheit, das ihnen das SRK-Notrufsystem vermittle – ein feinmaschiges Sicherheitsnetz: Sind die drei Kontaktpersonen, die bei der Notruf-Zentrale gespeichert sind, nicht erreichbar, informiert sie die Sanität oder den Schlüsseldienst, der mit der Polizei ausrückt. Das ist etwa einmal pro Monat nötig. Im Angebot des SRK gibt es einen Vorteil gegenüber anderen Anbietern, bei denen oft nur eine Nummer gespeichert werden kann: Ist jemand nicht erreichbar, steht das Rote Kreuz nicht gleich wie der Esel am Berg. Es hat eine breite Handlungspalette, um der Ursache des Anrufs auf den Grund zu gehen. Zudem ist das Rote Kreuz rund um die Uhr erreichbar.

Soziale Alarme
Erneut klingelt es. Die Mitarbeiterin in der Notrufzentrale notiert nach dem Gespräch im elektronischen Dossier, dass sich eine der drei Kontaktpersonen einer Abonnentin in die Ferien abgemeldet hat. Bereits laufen die Telefondrähte wieder heiss: Ein Abonnent ruft an, um sich zu vergewissern, dass alles klappt, wenn die Hilfe klappen soll. Ein Probealarm, wie ihn alle einmal pro Monat ausführen und so den Kontakt zur Zentrale pflegen. Montag ist der Tag, an dem oft Neuanschlüsse auf dem Programm stehen. Auch heute: Mit einem Lächeln auf den Lippen und warmem Timbre in der Stimme heisst die Mitarbeiterin der Notrufzentrale die neue Abonnentin im Namen des Roten Kreuzes willkommen und sichert ihr zu, im Notfall für sie da zu sein. Jetzt wird das neu installierte Gerät getestet: Von allen Räumen der Wohnung löst die Frau mit einem Druck auf die Taste der Notruf-Uhr einen Alarm aus: Es wird geprüft, ob sich Zentrale und Neuabonnentin akustisch verstehen. Die Mitarbeiterin notiert im Dossier weitere Informationen, die nützlich sein können: über die Räumlichkeiten der Wohnung, das Alter des Partners, Medikamente und Gehhilfen oder wenn sich jemand nach einem Schlaganfall mit Klopfzeichen verständlich machen muss. Bei etlichen der zahlreichen Alarme, die bei der SRK-Notrufzentrale eingehen, ist spürbar, dass ältere Menschen zum Teil unter Einsamkeit leiden: Es sind soziale Alarme. So kommt es vor, dass die Mitarbeitenden der Notrufzentrale Menschen, die sich alleine fühlen, am Telefon trösten.

Ein paar Notrufe an einem Montagmorgen wie diesem – und die eigenen Sorgen verschwinden.

* Name geändert

Weitere Informationen: notruf@srk-solothurn.ch; 032 622 37 20 (Mo-Fr 8.30-12.00 Uhr)