«Freude am Austauschen und Diskutieren»

Sich austauschen, gemeinsam ein Thema diskutieren, sich inspirieren lassen: Im Rahmen der Femmes-Tische des SRK Kanton Solothurn
treffen sich Migrantinnen regelmässig zu Gesprächsrunden.

Freitagmorgen, kurz vor neun Uhr. Acht Frauen haben sich auf Arabisch begrüsst, ein paar Worte gewechselt und sich in Zuchwil um einen grossen Tisch gesetzt. Moderatorin Ibtissam Nehme richtet einleitende Worte an die Anwesenden. Zwei weitere Frauen huschen herein und vervollständigen die Runde mit einem stillen Lächeln. In der Mitte ein Plakat mit der Ernährungspyramide, auf dem Tisch verstreut kleine Lebensmittelkärtchen, die es der jeweiligen Farbe und Kategorie zuzuordnen gilt.

«Die Kärtchen sind nicht die Hauptsache», sagt Andrea Leonhardt vom Roten Kreuz Kanton Solothurn. «Es geht darum, miteinander ins Gespräch und so in einen Austausch zu kommen, Informationen und Anregungen für den Alltag zu erhalten.» Die Standortleiterin ist regelmässig an den Diskussionsrunden dabei, um am Puls des Geschehens und der Moderatorinnen und Teilnehmerinnen zu sein.

Hohe Kunst
Die meisten der zehn Frauen stammen wie Ibtissam Nehme aus dem Libanon; eine Frau ist aus der Türkei und eine weitere aus Marokko. Die Gruppe trifft sich bis zu acht Mal pro Jahr. Manchmal versammeln sich hier bis zu sechzehn Frauen, um über diverse Aspekte der Ernährung, der Integration, des Alltags, der Erziehung, Familie etc. zu sprechen.

Ibtissam Nehme hört konzentriert zu, fragt hie und da nach. Sie achtet darauf, dass sich möglichst alle beteiligen und miteinander ins Gespräch kommen.

Von der Zusammensetzung einer ausgewogenen Ernährung geht sie über zu weiteren Fragen, zum Beispiel: Wie werde ich beim Essen meiner Vorbildfunktion als Mutter gerecht? Wie gestalten wir in der Familie unsere Esskultur?

«Es ist eine hohe Kunst, ein Gespräch mit so vielen Beteiligten zu führen. Ohne sich selber in den Vordergrund zu stellen und Wissen überzustülpen. Sondern es aus den Teilnehmerinnen herauszukitzeln und die Frauen zum Nachdenken zu bringen», sagt Andrea Leonhardt. «Allzu strikt auftreten kommt meist nicht gut an. Es gilt, die Balance zu halten zwischen Kollegialität und Wissensvermittlung. So können wir die Frauen motivieren, nächstes Mal wieder dabei zu sein, damit eine Kontinuität entsteht und das Vertrauen untereinander wächst.»

Selbstvertrauen gewinnen
Nach dem Treffen wertet Ibtissam Nehme die Runde aus, macht sich Gedanken über den Gesprächsverlauf. «Falls angezeigt, kommt es zu einer Nachbesprechung mit der Standortleiterin, um einen Punkt zu vertiefen. Es geht darum, sich selber zu reflektieren und die gewonnenen Erkenntnisse beim nächsten Mal umzusetzen.»
Wie die anderen ehrenamtlichen Moderatorinnen wurde Ibtissam Nehme vom SRK in Moderationstechnik und in den einzelnen Themen fachlich geschult. «Diese Arbeit ist eine Chance, Selbstvertrauen im Auftreten zu gewinnen und sich der eigenen Stärken bewusst zu werden», sagt Andrea Leonhardt. «Zudem üben sich die Moderatorinnen in konstruktiver Kritik und erwerben Fachwissen – Fähigkeiten, die im Idealfall zu einer Anstellung führen. Sie sollen aber keine Lehrerinnen oder Expertinnen werden, sondern immer Kolleginnen bleiben.» Und ebenso wichtig: Die Moderatorinnen nehmen eine Vorbildfunktion wahr. «Wenn sie etwas aus eigener Erfahrung sagen, kann dies andere motivieren, es ihnen gleichzutun – weil sie es selber vorleben. So ist es authentisch und glaubwürdig.»

Der versteckte Zucker
Eine gute Stunde ist vorbei. Ibtissam Nehme wird kurz etwas lauter, um einen Faden aufzunehmen, die Diskussion auf eine weitere Schiene zu führen und schliesslich mit einem Fazit abzurunden.

Dann tischen die Frauen mitgebrachte libanesische Spezialitäten auf, geniessen einen warmen Tee, plaudern. Lida aus Marokko, Mutter dreier Kinder, sagt: «Ich will versuchen, selber weniger Schokolade zu naschen und auf den versteckten Zucker zu achten.» Eine weitere Teilnehmerin ergänzt: «Der Kontakt mit anderen Frauen aus meinem Kulturkreis sagt mir zu. Ich bin gerne dabei, denn die Themen, die wir diskutieren, sind spannend. Sie inspirieren mich im Alltag.»